Japanische Forschende haben in einem Experiment das Revierverhalten von Clownfischen untersucht und wollen dabei eine verblüffende Entdeckung gemacht haben: Die orangeweiß schillernden Schwimmer sollen zählen können. Was ist an dieser Entdeckung dran?
Clownfische reagieren auf die Anzahl der Streifen anderer Fische
Die Forschenden vermuten, dass die Clownfische auf die Anzahl der Streifen anderer Fische reagieren und glauben darin zu erkennen, dass sie diese zählen. Um ihre Vermutung zu bestätigen, konfrontierten sie eine Clownfisch-Kolonie zunächst mit einer Gruppe von Fischen, die sich aus weiteren Artgenossen und anderen Anemonenfischarten zusammensetzte – sie unterscheiden sich lediglich in der Anzahl der weißen Streifen.
Am aggressivsten reagierten die Clownfische auf ihre Artgenossen im Dreistreifen-Gewand. Sie verjagten die anderen Clownfische – dabei bissen sie auch schon mal kräftig zu. Nicht ganz so aggressiv, aber bestimmt, verteidigten sie ihre Anemone gegen Fische mit zwei Streifen. Die übrigen Fische mit einem oder keinem Streifen wurden friedlich in ihrem Domizil geduldet.
Anschließend überprüften die Forschenden ihre Beobachtungen mit einer Kontrollgruppe bestehend aus Plastikfischen mit drei, zwei, einem und keinem Streifen. Die Clownfische attackierten auch die Plastikdoubles – je mehr Streifen sie zeigten, desto aggressiver. Für die Forschenden stand damit fest: Clownfische können zählen.
Clownfische erkennen ein Muster, können aber nicht zählen
Für Ilka Diester, Neurobiologin an der Universität Freiburg, ziehen die Forschenden voreilige Schlüsse. “Meines Erachtens ist das eine Art visuelle Frequenzerkennung, die die Fische machen, denn die Streifen liegen ja nicht in einer zufälligen Anordnung, sondern in einer relativ gleichmäßigen vor, sodass das eben eine Frequenz ergibt.”
Um herauszufinden, ob die Fische tatsächlich zählen können, wären weitere Kontrollversuche notwendig. Dafür müssten die Forschenden die Anordnung und Breite der Streifen verändern, und den Clownfischen auch andere Symbole und Formen präsentieren. “Das wurde hier alles nicht gemacht”, sagt Diester. Deshalb könne man nicht sagen, dass die Clownfische mit Mengen oder Anzahlen agierten.
Tiere können weniger von mehr unterscheiden
Mengen wahrzunehmen und einzuschätzen würde eine entsprechende Gehirnkapazität voraussetzen, die niedrige Tiere – also Tiere, die evolutionär sehr früh entstanden, wie etwa Fische – schlichtweg nicht haben. “Anzahlen zu erkennen ist eine kognitive Fähigkeit, die höherwertiger und auch anstrengender ist und sich eben entwickelt hat mit den entsprechenden Gehirnkapazitäten”, erklärt Ilka Diester.
Höhere Säugetiere wie Affen oder auch Vögel wie Tauben und Krähen haben ihre Intelligenz in vielzähligen Studien unter Beweis gestellt. Sie können relativ präzise große von kleinen Mengen unterscheiden. Evolutionär gesehen bringt das viele Vorteile.
Die Wahrnehmung von Mengen ist angeboren
Zahlreiche Studien haben nachweisen können, dass Tiere weniger von mehr unterscheiden können. In einem Experiment hatten Forschende frisch geschlüpfte Küken nicht auf ihre Mutter, sondern auf Bälle geprägt. Als sie vor die Wahl gestellt wurden, sich einer von zwei Gruppen anzuschließen, entschieden sie sich für die größere Gruppe von Bällen. Dieses Verhalten zeigt: Mengen wahrzunehmen ist eine angeborene kognitive Leistung.
“Die meisten Tiere können das zu einem gewissen Grad, auch ohne Training und in der freien Wildbahn”, berichtet Ilka Diester. “Diese Mengenerkennung ist angeboren und die kann man abrufen, wenn man sie braucht.” Bei der Suche nach Schutz und einem Unterschlupf, auf Beutejagd oder beim Hüten des Nachwuchses hat sich diese Fähigkeit wohl evolutionär als sehr nützlich erwiesen.
Die Zahl Vier knackt die Grenze der Mengenwahrnehmung
Sind Mengen jedoch größer als vier, wird es schwierig die größere unter ihnen zu erkennen – auch für uns Menschen. Je größer die Anzahl, desto größer muss die Distanz zwischen zwei verglichenen Mengen sein. Nur so können Tiere und auch wir Menschen Mengen wahrnehmen, ohne sie zu zählen.
“Für mich ist es total einfach, zwei und drei zu vergleichen. Drei ist größer als zwei, das kriege ich schnell hin”, erklärt Ilka Diester. “Wenn ich jetzt aber 25 und 28 habe, das kriege ich nicht mehr mit einem Blick hin, weil es dann vielleicht nicht so viel Unterschied macht, ob ich jetzt 25 oder 28 Kirschen habe. Unser Gehirn stellt das ein bisschen komprimiert dar. Während es für mich schon einen Unterschied macht, ob ich zwei oder drei Kirschen habe.”
Zählen setzt ein Verständnis von Zahlen voraus
Fest steht: Tiere haben keine Vorstellung von Zahlen. Auch wenn die Clownfische im Experiment den Eindruck erwecken mögen, sie könnten zählen, ist dem definitiv nicht so. Selbst das Abschätzen von Mengen, kann man bei Tieren nicht als Zählen bezeichnen. “Tiere haben keine Worte, das ist wahnsinnig schwierig ohne Zahlenworte sowas dann zu verfolgen”, sagt Diester.
Möglich ist es aber, Tiere auf Symbole zu trainieren, die für Addition, Subtraktion oder Zahlen stehen. Das zeigt eine berühmte Studie der Universität Kyoto mit Schimpansen aus dem Jahr 2007. “Wenn sie diese Zeichen benutzen, dann werden sie präziser, so wie auch wir”, sagt Ilka Diester. Das ist zwar nah an dem, was wir unter Zählen verstehen – aber eben keine gelöste Rechenaufgabe.
Hier geht’s zum Originalartikel von Jacqueline Gehrke in SWR Wissen